Modded Blobjects
Dieser Text ist Teil einer Recherche zur Arbeit "g4 soft mod".
Während sich 1999 die Besitzer*innen des Nokia 3210 noch vor dem Millennium-Bug fürchteten, läutete der Startup-Sound des iMac G3 eine techno-optimistische Ära ein, die durch das Aufkommen des Internets und den damit einhergehenden Gadget-Boom eine bunte, transparente Entwicklung technischer Endgeräte versprach. Doch schon beim nächsten Modell liess Apple selbst an der versprochenen Zukunft zweifeln.

Die von Naturelementen geprägte, frühe Internetästhetik der 2000er-Jahre ist heute unter dem Namen Frutiger Aero bekannt. Der Begriff setzt sich aus der damaligen Windows-Standardschrift Segoe UI, einer Kopie der von Adrian Frutiger entworfenen Schrift „Frutiger“, und der grafischen Benutzeroberfläche Windows Aero zusammen. Frutiger Aero stand für Benutzer*innenfreundlichkeit, Nachhaltigkeit und Transparenz. Der Zugang zu einer technischen Neuheit, die das Internet damals war, sollte möglichst einfach gemacht werden, indem digitale Oberflächen an physischen Objekten nachempfunden wurden. Eine digitale „Bibliothek“ sah aus wie ein Bücherregal. Digitale Buttons waren skeuomorphisch; sie erschienen dreidimensional und simulierten echte Knöpfe. Während des ersten Jahrzehnts des Internets wurde an den Endgeräten stark herumexperimentiert. Besonders durch die Verfügbarkeit neuer Materialien und Fertigungstechnologien wie dem 3D-Druck entstanden verformte CD-Player, das Lipstick-Phone, das in seiner Form an einen Lipgloss erinnerte, und schliesslich das erste Blobject, der iMac G3. Eine organische, abgerundete Form ohne scharfe Kanten, in einem durchsichtigen Blau. Anfang 2000 war die Technik soft. Doch als sich die Softness der frühen Technikästhetik zunächst noch durchsetzte, deuteten erste Designentscheidungen bereits auf einen Bruch hin. Besonders deutlich wurde dies an einem Gerät, das heute als letzter Vertreter der Blobject-Ära gelten kann.
Das letzte Blobject
Während der ursprüngliche iMac G3 noch ein einziger, organischer "Blob" war, trennt der iMac G4 von 2002 den Bildschirm vom Basiskörper, einer Halbkugel, in der alle Komponenten des Power-PCs verbaut sind. Diese Trennung kann als erster Schritt in die glatte, kühle Ästhetik moderner Apple-Geräte gewertet werden. Zum ersten Mal erhielt ein PC einen Flachbildschirm. In Weiss. Er hing an einem frei verstellbaren Metallarm. Der dünne, schwebende Bildschirm war damals ein starkes Statement. Er signalisierte den Fokus auf die Inhalte und die Benutzer*innenerfahrung und weniger auf die Hardware selbst. Das Gerät dient als Portal ins Internet, nicht als reines Gadget. Gleichzeitig zeigte der flexible, verchromte Arm bereits Apples Fähigkeit, komplexe Technik in eine scheinbar einfache und elegante Form zu verpacken. Dabei wird das Ingenieuring selbst zum Designelement – eine Philosophie, die Apple bis heute ins Extreme perfektioniert hat.
So sehr, dass die Geräte nicht mehr in der Transparenz der G3s erschienen. Bestandteile des iMacs wurden in späteren Modellen nicht mehr sorgfältig verschraubt, sondern angeklebt oder sogar verschweisst. Ein Eingriff durch Drittpersonen, um die Computer zu reparieren oder zu erweitern, wurde dadurch verunmöglicht. Stand eine Reparatur an, musste der gesamte Computer auseinandergebaut werden, um einzelne Teile ersetzen zu können. In diesem Fall lohnt sich ein Neukauf häufig mehr als eine kostspielige Reparatur. Diese Praxis ist kein Nebeneffekt, sondern Teil einer gezielt verfolgten Strategie. Rivero und Lallmahomed definieren sie in ihrem Artikel Environmental implications of planned obsolescence and product lifetime als geplante Obsoleszenz: „Geplante Obsoleszenz oder eingebaute Obsoleszenz im Industriedesign ist eine Strategie, ein Produkt mit einer begrenzten Nutzungsdauer zu planen oder zu entwerfen, sodass es nach einer bestimmten Zeit veraltet, unmodern oder nicht mehr funktionsfähig wird.“ [1]
Gerade als Reaktion auf diese eingeschränkten Möglichkeiten ist eine Gegenbewegung entstanden. Die zunehmend geschlossenen Bauweisen moderner Elektronikgeräte haben zur Entstehung aktiver Modding-Communities geführt. In Online-Foren wie iFixit, ComputerBase oder diverse Subreddits tauschen sich Nutzer*innen darüber aus, wie sie vor allem ältere, noch modifizierbare Geräte, häufig aus der Ära der Blobjects stammend, durch gezielte Eingriffe langlebiger und weiterhin nutzbar machen können. Die Bedeutung solcher Modifikationen wächst in Zeiten globaler Krisen: Pandemien, gesellschaftliche Spannungen oder Naturereignisse können den Welthandel und damit die Lieferketten empfindlich stören. Da fast alle neu produzierten Geräte auf seltene Rohstoffe angewiesen sind, deren Abbau sich stark auf China und Teile Taiwans konzentriert, gefährden Lieferausfälle die gesamte Geräteproduktion. In solchen Szenarien erweist sich der Rückgriff auf alte, durch Modifikationen wiederbelebte und somit länger nutzbare Geräte als wertvolle und resiliente Alternative. Die Praktiken der Modding-Szene sind Teil einer grösseren politischen Bewegung: dem Right to Repair. Diese Bewegung fordert von den Herstellern gesetzlich verankerte Pflichten: die Bereitstellung von Ersatzteilen, Reparaturanleitungen und Diagnose-Werkzeugen für unabhängige Werkstätten und Endverbraucher*innen.[2] Es geht darum, das Monopol der Hersteller über die Lebensdauer ihrer eigenen Produkte zu brechen. Mit der Forderung, Kontrolle und Entscheidungen über die eigene Hardware zurückzuerlangen, verbindet sich zwangsläufig auch die Frage nach der Kontrolle über die Inhalte, die auf diesen Geräten konsumiert werden.
Das tote Internet
Die Dead Internet Theory geht davon aus, dass das Internet zunehmend von KI-generierten Inhalten dominiert wird und menschliche Aktivität darin nur noch vereinzelt vorkommt. Ursprünglich eine spekulative Theorie, wird sie laut Yoshija Walter durch das rasante Wachstum generativer KI heute zunehmend Realität. Diese Entwicklung führt zu einer digitalen Umgebung, in der algorithmisch erzeugte Inhalte das Nutzer*innenverhalten steuern und menschliche Kommunikation zunehmend verdrängen.[3] Moderne Smartphones und Computer sind die perfekten Portale für dieses tote Internet. Ihr Design ist auf passiven Konsum optimiert: endlose Scroll-Feeds (TikTok, Instagram), minimalistische Interfaces, die Nutzer*innen in geschlossenen Content-Ökosystemen gefangen halten, und eine Hardware, die kaum noch Anschlüsse oder Erweiterungsmöglichkeiten bietet. Die Unternehmen, die solche Geräte herstellen, profitieren von diesem System. Eine kurze psychologische Lebensdauer der Inhalte (Style Obsolescence) passt perfekt zur kurzen physischen Lebensdauer der Geräte, die durch geplante Obsoleszenz erzwungen wird. Nutzer*innen werden in einem doppelten Kreislauf aus ständig neuem Content und ständig neuer Hardware gefangen gehalten.[4]
Aus diesem Grund erleben derzeit auch Inhalte aus der Ära der Blobjects eine neue Aktualität. Die Web-Ästhetik der frühen 2000er-Jahre, oft als „versprochene Zukunft, die nie kam“ beschrieben, wurde in diesem Text bereits thematisiert. Parallel dazu rückt auch die technische Struktur und Gestaltung von Content im Internet erneut in den Fokus. Insbesondere dezentrale Ansätze der Content-Verteilung finden vermehrt den Weg zurück in den Mainstream. Abseits von monopolistischen, stark kontrollierten und teils zensierten Social-Media-Plattformen wie Instagram oder TikTok bieten Netzwerke wie Mastodon oder BlueSky alternative, nutzer*innenkontrollierte Räume. Diese setzen bewusst auf dezentrale Strukturen. Anstatt von einem grossen Konzern betrieben zu werden, bestehen sie aus vielen kleinen, unabhängigen Plattformen. Nutzer*innen behalten mehr Kontrolle darüber, was sie sehen, mit wem sie sich vernetzen und wie ihre Inhalte verwaltet werden. Damit knüpfen diese Netzwerke an die ursprüngliche Idee eines offeneren und freieren Internets an. Gleichzeitig treten mit Diensten wie Neocities oder Tumblr alte, durch HTML-Code frei gestaltbare Blogseiten erneut in Erscheinung. Sie verweisen auf ein wachsendes Bedürfnis nach nutzer*innengesteuertem, algorithmusfreiem Austausch. Diese Entwicklung ist als Reaktion auf die heutigen, von Slop dominierten Feeds zu verstehen, in denen automatisiert generierte, massenhaft gestreute Inhalte die Qualität des Interneterlebnisses zunehmend verdrängen.
Während die ursprünglich langlebig gebauten Geräte durch technischen Fortschritt und veränderte Designlogiken in Vergessenheit geraten, wird die Lebensdauer neuer Geräte heute gezielt begrenzt. Hersteller sichern sich über geplante Obsoleszenz, verklebte Gehäuse und restriktive Softwaresperren die Kontrolle über Nutzung und Lebensdauer ihrer Produkte. Damit koppeln sie Hardware und Inhalte immer enger an kurzlebige, kommerziell verwertbare Zyklen. Es ist ein System, das gezielt auf Wachstum durch Verschleiss setzt und die Autonomie der Nutzer*innen systematisch einschränkt. Doch es gibt Brüche in diesem System. Modding-Communities und das Right-to-Repair-Movement stellen diese Praxis offen infrage. Indem sie Wissen teilen und alte Geräte modifizieren, unterlaufen sie die Logik von Wegwerfzyklen und schaffen Alternativen zur industriell erzwungenen Kurzlebigkeit. In Zeiten von Ressourcenknappheit, geopolitischen Spannungen und ökologischen Krisen sind solche Praktiken mehr als Hobbyprojekte. Sie sind politische Interventionen im Umgang mit digitalen Infrastrukturen.
Auch auf Ebene der Inhalte zeigt sich Widerstand. Dezentrale Netzwerke und die Rückkehr zu selbst gestalteten Webräumen setzen ein Zeichen gegen die Monopolisierung digitaler Öffentlichkeit. Sie wehren sich gegen Feeds, die von Slop Content geflutet und von wenigen Konzernen gesteuert werden. Hier wie bei der Hardware geht es um dasselbe technische Grundbedürfnis: die Möglichkeit, selbst über technische Werkzeuge und digitale Räume zu verfügen. Die Auseinandersetzung mit der Ästhetik und Materialität der Blobject-Ära zeigt, dass Technik nie neutral ist. In den transparenten, zugänglichen Formen der frühen 2000er steckte das Versprechen einer offenen und gestaltbaren digitalen Zukunft. Dass diese Formen verschwanden und durch versiegelte, kontrollierte Geräte ersetzt wurden, war kein Zufall, sondern Ausdruck einer gezielten Verschiebung von Gestaltungsmacht hin zu Konzernen.
Das Modifizieren alter Blobjects ist heute mehr als ein technisches Hobby. Es ist eine politische Handlung, die sich dieser Entwicklung widersetzt. Indem Nutzer*innen die Kontrolle über Material, Funktion und Ästhetik dieser Geräte zurückgewinnen, fordern sie zugleich das Recht auf eine offene, demokratische digitale Infrastruktur ein. In diesem Sinn ist das Modding der Blobjects ein bewusster Bruch mit der Logik der geplanten Obsoleszenz und ein praktischer Beitrag zu einer solidarischeren und selbstbestimmteren digitalen Zukunft.